Emotionsreguliert diskutieren

Die A*fD ist KEINE Alternative für Deutschland. Ich hoffe, da sind wir uns hier einig!

Ich habe überlegt was ich als systemische Therapeutin und interkulturelle Bildnerin gerade zu dieser politischen Misere beitragen kann. In den letzten Jahren in der sozialen Arbeit hatte ich mit vielen Menschen zu tun. Ich habe 12 Monate in einem jüdischen Altenheim gearbeitet und durfte mit Holocaust-Überlebenden über die Geschichte sprechen. Dieser Friedensdienst von der Organisation ASF hat mich sehr geprägt, besonders auch in der Reflexion zu meiner eigenen familiären Na*zi Vergangenheit. Das Auseinandersetzen mit der eigenen Geschichte ist für mich unabdingbar, auch um heute in solchen Zeiten handlungsfähig zu bleiben und was gegen diese Lage zu tun. Dazu später mehr!

Ich habe ‚unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen‘ das erste Bett nach drei Jahren Flucht in der Inobhutnahmen geben dürfen. Ich habe als Sozialberaterin junge geflüchtete Menschen dabei unterstützt in dieser rassistischen Gesellschaft Fuß zu fassen und bewundere sie immer noch dafür, wie stark sie bleiben, trotz dem ganzen (strukturellen) Rassismus. Und ich habe in meiner letzten Tätigkeit in einer öffentliche Beratungsstelle unter den Klient:innen einige (potenzielle) Af*D-Wähler:innen kennengelernt. Das war vermehrt in der Cor*ona-Hochphase. Das ließ sich nicht vermeiden und es half mir gewisse Verhaltensweisen zu verstehen. Die Psychologie erklärt Verhaltensweisen. Nur weil ich diese beobachte und versuche zu verstehen, heißt das nicht, dass ich diese Verhaltensweisen unterstütze.

Diese Erfahrungswerte teile ich nicht, um Applaus zu bekommen, sondern um euch klar zu machen, woher meine Gedanken und therapeutischen Tipps hier kommen.

So eine politische Lage wie wir sie heute haben, entsteht nicht von heute auf morgen. Sowas entsteht, wenn z. B. über Jahre und Jahrzehnte hinweg Na*zi und DDR-Geschichte nicht adäquat aufgearbeitet und die Sozial- und Gesundheitspolitik heruntergewirtschaftet wird. Die eh schon schlecht aufgestellten Menschen werden immer unzufriedener und finden dann Zuflucht bei gefährlichen und leider rhetorisch nicht blöden Demagog:innen, die es an die Parteispitze geschafft haben und strategisch und sprachlich in der Öffentlichkeit Raum einnehmen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass viele der (potenziellen) A*fD Wähler:innen nicht die lupenreinen Na*zis sind, die morgen anfangen, ein Flüchtlingheim anzuzünden. Das sind meist die, die nicht mehr weiter wissen. Die, die stagniert haben. Das sind die, die GLAUBEN, dass ihnen nichts mehr anderes übrig bleibt, als denen zu folgen, die gefährlichen und antidemokratischen Bullshit von sich geben.

Es gibt die A*fD Wähler:innen, die tief und fest davon überzeugt sind, dass Minderheiten Schuld an ihrer Unzufriedenheit sind. Sie verbreiten Hass und sind gewalttätig. Es gibt sie leider, bei denen die Hoffnung verloren ist, eine gesunde Diskussionen auf Augenhöhe zu führen. Gegen diese Menschen spreche ich mich deutlich aus!

Aber es gibt noch die, bei denen das möglich ist. Bei denen eine Chance besteht. Und wenn du mit diesen Menschen in deiner Nachbarschaft, auf dem Arbeitsplatz oder im Sportverein in Kontakt stehst und zunehmend überfordert oder genervt bist von blöden Sprüchen, du aber trotzdem was tun willst, dann habe ich hier ein paar Tipps für dich, wie du emotionsreguliert diskutieren kannst.

Was will die jetzt mit emotionsreguliert? Was SOLL DAS? Berechtigte Frage. Im realen Leben und in meiner Ausbildung zur systemischen Therapeutin durfte ich lernen (insbesondere im Modul Paartherapie), dass hoch emotionalisierte Diskussionen es meist nur noch schlimmer machen. Die Fronten verhärten sich und führen leider zu Missgunst und Trennung. Wir können diese potenziellen A*fD Wähler:innen aber nur erreichen, wenn wir versuchen in Verbindung mit ihnen zu bleiben. Und das ist nicht leicht! Das weiß ich. Das kenne ich. Dennoch bleibt es uns nicht erspart uns damit auseinanderzusetzen.

Daher ist es wichtig, sich selbst und seine Emotionen besser kennenzulernen. Zu lernen, ob ich z. B. gerade

  • extrem wütend bin (dann gehe ich in den Kampfmodus, was mein Gegenüber noch mehr aufheizt und dann kann keine vernünftige Diskussion auf Augenhöhe entstehen)
  • überfordert und ängstlich bin und dann lieber die Decke über die Kopf ziehe (Erstarrung), um mich dazu nicht äußern zu müssen
  • oder die Flucht ergreife und damit NICHTS zu tun haben will, obwohl es eigentlich an der Zeit ist, für sich, seine Mitmenschen und die Demokratie in der wir leben, einzustehen

Ziel ist es, in Diskussionen so BEI SICH zu bleiben, sodass man ruhig, pragmatisch und faktisch argumentieren kann und dem gegenüber zuhört. Und glaubt mir, das schaffe ich auch nicht immer! Ich ich probiere es immer wieder!

Was hat die Person für Sorgen? Von wem fühlt sie sich im Stich gelassen? Es sind nämlich nicht die Menschen mit Migrationsgeschichte die sie im Stich lassen. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Sie wissen teilweise aber auch nicht, wo sie HILFE bekommen können. In Deutschland gibt es genügen Beratungsstellen, die einem bei allem Unterstützung geben! Vielleicht helfen diese Tipps, damit sie sich nicht mehr so sehr im Stich gelassen fühlen.

Wenn du also ruhig und gelassen bleibst und dein Gegenüber auch (das ist wichtig! Wenn dein Gegenüber hoch emotionalisiert ist führt das Gespräch auch zu nichts) dann kannst du auch in Ruhe und mit Fakten argumentieren. Und dadurch dass dein Gegenüber sich von dir gesehen und gehört fühlt (weil du nach deren Sorgen gefragt hast) ist die Chance höher, dass sie dir auch zuhört!

Argumente, die du dann nutzen kannst:

  • keine:r verlässt freiwillig seine Heimat und sein Zuhause
  • die A*fD ist schlussendlich die letzte Partei, die sich WIRKLICH für dein Wohlbefinden interessiert (alles nachlesbar in deren Parteiprogramm)
  • Menschen mit Fluchtgeschichte bekommen NICHT MEHR Sozialleistungen als alle anderen auch
  • Die Unterstützungsangebote die es für geflüchtete Menschen gibt, gibt es für jede:n andere:n auch, nur unter anderem Namen oder bei einer anderen Adresse
  • Wenn du flüchten müsstest, wärst du auch froh in einem anderen Land mit einer anderen Sprache aufgenommen zu werden

Was hält dich davon ab, jetzt und hier Verantwortung zu übernehmen und dich in solche Gespräche zu begeben?

Ich denke wirklich, dass es wichtig ist sich mit seiner eigenen familiären Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wenn du magst nimm dir Stift und Papier und beantworte dir selbst folgende Fragen:

Welche Emotion hält mich davon ab, mich mit der aktuellen politischen Lage auseinanderzusetzen?

Beispiele:

  • Scham und Schuldgefühle, für unsere Geschichte (setze dich damit auseinander, um dich und deinen Umgang damit besser zu verstehen)
  • Scham und Schuldgefühle gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte (diese Emotionen helfen dir nicht und vor allem den Menschen mit Migrationsgeschichte nicht!! Komme mit Menschen in Kontakt die Migrationsgeschichte haben und frag sie wie es ihnen geht, höre ihnen einfach zu!)
  • Angst etwas Falsches zu sagen (das ist ok, wir dürfen Fehler machen und keine:r ist perfekt)
  • Angst, zu wenig über Politik zu wissen (es ist nie zu spät damit anzufangen, setze dich auseinander, lese Blogs, Bücher und Co., am besten auch von Menschen mit Migrationsgeschichte)

Fragen zur Reflexion der eigenen Geschichte und der eigenen Rolle in dieser Gesellschaft

Wie wurde in meiner Familie mit der deutschen Geschichte und dem Holocaust umgegangen? Was wurde und wird verschwiegen?

Wo war z. B. mein (Ur)Großvater Täter und Opfer zugleich? Ambivalenz überfordert schnell, ist aber zum Teil normal

Wie gehts mir damit, dass mein Opa/Vater/Onkel/Tante usw. Na*zi war? Wie war oder ist meine Beziehung zu dieser Person? Darf ich die Person lieben, auch wenn er:sie Täter:in war?

Wie steht meine Familie zu geflüchteten Menschen? Wo habe ich vielleicht eine Haltung übernommen, die gar nicht meine ist? Was ist MEINE Haltung dazu?

Wenn ich flüchten müsste: Welches Verhalten wünsche ich mir von den Menschen in dem Land, in das ich flüchte und meine zweite Heimat finden möchte?

Wie kann ich mein Privilegien in dieser Gesellschaft nutzen? Was sind meine Privilegien? Vielleicht mein deutscher Pass? Meine Chancen auf Bildung und einen guten Job?

Wie kann ich auf meine Art „die Welt retten“ ohne mich dafür so zu verausgaben, dass ich in einem Burnout lande?

Dieser Ansatz mag vielen vielleicht etwas komisch vorkommen, aber wie gesagt: Aus meinen Erfahrungswerten heraus das einzige was hilft! Ich weiß, es ist nicht leicht, sich die Sorgen von potenziellen A*fD-Wähler:innen anzuhören. Aber probiert es. Wenn ihr merkt es geht nicht, dann geht es nicht. Dann ist das ok! Es ist nur wichtig, dass du es probierst. Und dann probierst du es vielleicht das nächste Mal bei einer anderen Person. Oder mit der gleichen Person nur in einem anderen Setting. Eins kann ich dir aber versprechen: Je klarer du mit dir und deiner Haltung bist, desto einfacher fällt es dir auch, dich in solche Gespräche zu begeben. Das dürfen wir üben! Daher die Reflexionsfragen hier.

Denn Fakt ist: Die A*fD liegt zur Zeit bei 30-35%. Das ist eine Hausnummer! Das ist nicht mehr lustig! Wenn du also in deinem Umfeld die Chance hast, Menschen bei den kommenden Wahlen umzustimmen: dann nutze sie! In einer Demokratie zu leben ist das höchste Gut was wir haben!

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