Wer kennt es nicht? Man sitzt in der Sprechstunde beim Arzt:Ärztin. Es ist eh schon schwer genug, weil irgendwie alle bisherigen Therapieansätze nicht viel gebracht haben und dann wird man wieder innerhalb von fünf Minuten im Sprechstundenzimmer abgefertigt. Und oft mit dem legendären Satz: „Sie müssen Stress reduzieren“.
AM ARSCH. Jetzt sind auch noch ich und mein Stress dafür verantwortlich, wie es mir körperlich geht?
Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass in dem Wort STRESS eine unfassbar riesen Bandbreite steckt. Stress ist nicht gleich Stress. Und außerdem erklärt keine:r so richtig, was Stress eigentlich ist und wie der sich langfristig tatsächlich auf körperlicher Ebene auswirken kann.
Meine (utopische) Traumvorstellung im Gesundheitssystem ist immer noch folgende: Jede Arztpraxis bietet extra Sprechstunden mit ganz viel Zeit für Aufklärung an. Oder noch besser: Es gibt interdisziplinäre Facharztpraxen. Heißt: Die sitzen alle unter einem Dach und behandeln dich als Einzelperson ganzheitlich und individuell. Ein Träumchen, den ich mir wohl abschminken kann. Deswegen mache ich meine Arbeit hier. Weil ich glaube, dass es uns am besten in diesem Wirr Warr geht, desto besser wir uns und unseren Körper selber kennen.
So kann ich dann mich selbst gut und sicher durch das brüchige Gesundheitssystem navigieren.
Und deswegen möchte ich hier heute nochmal darauf eingehen, was Stress macht und was Stress mit Erkrankungen wie Endometriose, Adenomyose, Migräne oder auch Insulinresistenz zu tun haben kann.
Stress ist nicht für alle gleich. Was dich stresst, muss mich überhaupt nicht stressen und umgekehrt. Jede:r ist da also sehr unterschiedlich.
Dann dürfen wir auch noch unterscheiden zwischen äußerem und inneren Stress. Äußerlicher Stress kann z. B. sein: Licht, Lärm, Temperatur, Menschen die dich mit ihrem Verhalten triggern können. Reize von Außen also, die dein System stressen können.
Und dann nicht zu vergessen: Der innere Stress. Der aus eigener Erfahrung und auch aus meinem Praxisalltag eine große Rolle spielt und oft unterschätzt wird. Der innere Stress ist zum Beispiel der Anteil in uns, der uns permanent kritisiert. Ich nenne es den:die inneren Kritikerin. Innerer Stress sind auch emotionale Trigger, die durch äußere Trigger ausgelöst werden können. Beispiel: Du hast in deiner Kindheit schlechte Erfahrungen mit übergriffigem Verhalten gemacht und dieses Verhalten legt dein aktueller Chef an den Tag, mit dem du jeden Tag konfrontiert wirst.
Das Ganze habe ich schon mal aufgegriffen in meinem Blog-Artikel „Östrogen und emotionale Trigger„. Was dich also emotional triggert und stresst ist so individuell wie jeder einzelne Mensch. Da gibt es keine Patentrezept, das für alle gleich funktioniert. Das muss jeder für sich selbst herausfinden und das braucht Zeit und Geduld.
Wenn du dich also wirklich mit dir und einen Triggern auseinandersetzen willst, darfst du herausfinden was deine emotionalen Trigger sind. Diese entstehen meist in der Kindheit und im Laufe deines Lebens. Dein Körper speichert sich Stress und Trauma ab. Und das Unberechenbare ist ja manchmal, dass es stressige/traumatische Erfahrungen gab, die dir eine Erklärung dafür geben könnten. An die du dich aber NICHT MEHR ERINNERN kannst weil:
- sie entweder vor deinem dritten Lebensjahr passiert sind
- oder dein System diese Erinnerungen verdrängt, weil der Schmerz zu groß war oder ist, um diesen zu verarbeiten
- sie transgenerational sind, heißt: Du kannst Traumata und eben auch Veranlagungen zu Erkrankungen vererben
Dann gibt es auch noch Kombinationen aus mehreren Stressoren. Wenn z. B. innere und äußere Stressoren aufeinandertreffen und dann auch noch über einen langen Zeitraum (mindestens 6 Monate) präsent sind: Dann ist der ultimative Schmerz-Cocktail vorprogrammiert: Starke und chronische Migräne-Attacken. Endo-Schmerzen, dass es kracht. Extrem starke Blutungen bei Adenomyose. Und ein dysregulierter Insulinspiegel, angefeuert durch das Nervensystem, was uns sagt, dass wir in Gefahr sind und verhungern könnten.
Wenn du also im chronischen Stress bist, ist dein Nervensystem in ständiger Unterregung (totale Erschöpfung) und/oder in ständiger Überregung (du fühlst dich getrieben und bist nur am rumrennen und schläfst nicht gut). Meistens ist es dann eine Kombi aus beidem. Du schwankst regelmäßig zwischen Unter- und Überregung, bist aber nie ausgeglichen. Ausgeglichen bedeutet du würdest dich in deinem Stresstoleranzfenster befinden.
Du bist außerhalb deines Stresstoleranzfensters, weil du dich schon ziemlich lange in einer stressigen Lebensphase befindest. Bei Menschen die frühes Trauma erlebt haben, kann es dann sogar sein, dass du seit deiner Kindheit im Stress bist. Weil du dich z. B. nicht ausreichend sicher und geborgen gefühlt hast und diese Stress-Zyklen in deinem Körper immer noch feststecken und die nicht aufgelöst wurden. Stresszyklen im Körper können unterbrochen und verarbeitet werden durch
- das Herausfinden von emotionalen Triggern und diese mittel- bis langfristig in deinem Alltag reduzieren (sich in Achtsamkeit und Selbstbeobachtung üben)
- ggf. Traumatherapie machen, um Stressoren aus der Kindheit zu identifizieren und aufzulösen
- Bewegung, kreativ sein, weinen( deswegen fühlen wir uns nach dem Weinen oft so erschöpft), spazieren gehen…
SO! Was heißt das nun genau und was kann das mit meinen körperlichen Symptomen zu tun haben?
Dein Nervensystem ist verbunden mit deinem Hormon- und Immunsystem. Wenn du also ständig in Über- und/oder Unterregung bist, bist du auch im Überlebensmodus. Überlebensmodus heißt: Du funktionierst Tag für Tag nur, um den Alltag zu schmeißen. Aber genießen und Ruhe haben ist nicht drin.
Wenn das dauerhaft der Fall ist, setzen im Körper bestimmte Funktionen aus, weil permanent Stresshormone ausgeschüttet werden.
Wichtige Hormone werden nicht produziert oder sind zuviel oder zu wenig vorhanden. Was oft auch der Grund für fehlenden Kinderwunsch sein kann. Wenn du im Überlebensmodus bist sagt dein Körper: Ein KIND? Auf gar keine Fall, das schaffe ich grad nicht. Habe genug damit zu tun, zu überleben.
Dann setzten auch bestimmte Verdauungsfunktionen aus. Weil dein Körper genug anderes zu tun hat, weil er überleben muss. Das können auch oft Ursprünge für Unverträglichkeiten und Allergien sein.
Durch die Dauerverspannung bekommst du Probleme mit chronischen Schmerzen, vor allem im Hals- und Lendenwirbelbereich. Auch dein Beckenboden und z. B. der Uterus ist ein Muskel der dauerhaft verspannt sein kann. Genauso wie das Zwerchfell, dein Kiefer und der Nacken und Schulterbereich.
Dein Körper ist dann also dauerhaft in Alarmbereitschaft und überfordert. Ständig im Kampf-, Flucht oder Unterwerfungsmodus. Wenn gewisse Systeme in deinem Körper aussetzen, erhöhen sich die Entzündungswerte und chronische Schmerzen verschwinden nicht. Diese körperlichen Reaktionen lösen dann noch mehr Stress und Ohnmacht in dir aus. Es kommt also noch oben drauf und entwickelt sich zu einem Teufelskreislauf.
Wenn wir chronische Erkrankungen also ganzheitlich behandeln und lösen wollen, bleibt es uns nicht aus, sich mit seinen emotionalen Triggern auseinanderzusetzen. Die sind nämlich immer da, beziehungsweise können diese immer wieder um die Ecke kommen. Egal wieviele Medikamente wir zu uns nehmen, oder wir oft wir zur Osteopathie oder zur Physiotherapie gehen. Das sind alles wichtige Behandlungsansätze, die wir kombinieren dürfen und dann auch wirklich Wirkung erzielen. Aber eben nur, wenn wir auch herausfinden, was uns stresst und wie wir dem entgegenwirken können.
Ein Beispiel aus meinem aktuellen Alltag:
Meine Insulinresistenz hilft mir, regelmäßig zu essen und den Zuckerspiegel stabil zu halten. Je mehr Stress, desto schneller bin ich unterzuckert. Ich arbeite zur Zeit an drei verschiedenen Standorten. Drei verschiedene Filialen, die unterschiedlich äußere Stressfaktoren mit sich bringen. Jede Räumlichkeit ist anders. Jedes Licht ist anders. Jedes Kollegium ist anders. Je ruhiger die Filiale, je gedämmter das Licht, und je sicherer ich mich in Anwesenheit der Kolleg:innen fühle, desto stabiler hält sich mein Zuckerspiegel.
Dann spielen innere Stressfaktoren eine Rolle. Bin ich zusätzlich in der zweiten Zyklushälfte, bin ich noch dünnhäutiger und stressanfälliger. Wenn ich dazu noch schlecht geschlafen habe und mich gerade emotional etwas sehr beschäftigt, kommt das auch noch oben drauf.
Quellen, die sich mit dem Zusammenhang von chronischem Stress/Trauma und chronisch entzündlichen Erkrankungen auseinandersetzen:
BÜCHER
- Endometriose und Psyche von Martina Liel
- Frühe Traumata als Ursprung von chronischer Entzündung von Rainer H. Straub
- Migräne FREI, endlich Frieden im Kopf von Meike Statkus
PODACASTS
- Endozysters
- Verena König: Trauma & chronische Krankheiten, Folge #79
- Get happy! von Kathie Kleff mit Prof. Dr. Dr. Christian Schubert, Folge 32
MEDIATHEK/YOUTUBE